Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern

Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht Vorgaben zur Regelung des Sorgerechts bei nicht miteinander verheirateten Eltern gemacht haben, hat das Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums der Justiz nun zu den sich hieraus ergebenden aktuellen Problemen einen Fragen- und Antwortkatolog ins Netz gestellt, den wir hier wiedergeben:

Wer bekam bisher das Sorgerecht für ein Kind, wenn die Eltern nicht miteinander verheiratet waren?

Waren die Eltern bei der Geburt ihres Kindes nicht miteinander verheiratet, bekam zunächst die Mutter das alleinige Sorgerecht. Ein gemeinsames Sorgerecht von Mutter und Vater war nur vorgesehen, wenn beide Eltern übereinstimmend erklärten, die Sorge gemeinsam übernehmen zu wollen, oder wenn sie einander heirateten. Lehnte die Mutter die gemeinsame Sorge ab, gab es für den Vater keinen Weg, diese Ablehnung gerichtlich überprüfen zu lassen.

Was bedeutet „Sorgerecht“ eigentlich?

Das Sorgerecht dient dem Schutz des minderjährigen Kindes und begründet die Pflicht und Befugnis, Entscheidungen für das Kind zu treffen. Das Sorgerecht umfasst die Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes. Zur Personensorge gehören insbesondere die Pflicht und das Recht, das minderjährige Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Die Vermögenssorge schließt alle Maßnahmen ein, die dem Erhalt oder der Vermehrung des Kindesvermögens dienen. Die elterliche Sorge umfasst auch die Befugnis, das Kind rechtlich zu vertreten.
Vom Sorgerecht zu unterscheiden ist das Umgangsrecht, also das Recht zum persönlichen Kontakt mit dem Kind. Ein Umgangsrecht steht auch nicht sorgeberechtigten Eltern zu und kann nur unter engen, am Kindeswohl orientierten Voraussetzungen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.

Wie sieht ein gemeinsames Sorgerecht von Vater und Mutter in der Praxis aus?

Das Gesetz verpflichtet Mutter und Vater, die gemeinsame Sorge in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben. Bei dauerhaft getrennt lebenden Eltern ist das Einvernehmen bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung erforderlich. Dazu rechnen etwa die Aufenthaltsbestimmung, prinzipielle Erziehungsfragen, die Auswahl einer Kindereinrichtung oder Schule, der Abbruch oder Wechsel einer gewählten Schulausbildung, der Abschluss eines Ausbildungsvertrages oder die Entscheidung über medizinische Eingriffe, sofern erhebliche Komplikationen oder Nebenwirkungen drohen. Über Angelegenheiten des täglichen Lebens kann hingegen der Elternteil alleine entscheiden, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält .Die rechtliche Vertretung des Kindes liegt bei Mutter und Vater gemeinschaftlich. In Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung kann ein Elternteil alleine also nur dann rechtswirksam auftreten, wenn der andere damit einverstanden ist.

Was hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat am 3. Dezember 2009 entschieden, es verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, dass Väter bei Anwendung der deutschen Vorschriften bisher nicht die Möglichkeit haben, eine Zustimmungsverweigerung der Mutter gerichtlich überprüfen zu lassen.

Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?

Das Bundesverfassungsgericht erklärte am 21. Juli 2010 die bisherige Regelung für verfassungswidrig. Es verletzt das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht des Vaters, dass ihm das gemeinsame Sorgerecht generell verwehrt bleibt, wenn die Mutter ihre Zustimmung verweigert.

Was plant das Bundesjustizministerium?

Das Bundesjustizministerium arbeitet mit Nachdruck an der gesetzlichen Neukonzeption des Sorgerechts von nicht miteinander verheirateten Eltern. Die internen Vorüberlegungen sind weit fortgeschritten. Auch aus dem parlamentarischen Raum gibt es Vorschläge für eine Neuregelung. Die verschiedenen Überlegungen werden jetzt im engen Austausch mit den Familien- und Rechtspolitikern zusammengeführt.
Zur Diskussion stehen vor allem zwei Grundmodelle:

Das Widerspruchsmodell sieht vor, dass nicht miteinander verheiratete Eltern von Anfang an das gemeinsame Sorgerecht erhalten, wenn die Vaterschaft geklärt ist und der Vater erklärt hat, das Sorgerecht gemeinsam mit der Mutter ausüben zu wollen. Die Mutter hätte die Möglichkeit, in begründeten Fällen gegen die gemeinsame Sorge Widerspruch einzulegen. Über den Widerspruch müsste das Familiengericht entscheiden.

Beim Antragsmodell erhält zunächst die Mutter die alleinige Sorge. Möchte der Vater das gemeinsame Sorgerecht, könnte die Mutter innerhalb einer bestimmten Frist widersprechen. Geschieht dies, hätte der Vater die Möglichkeit, beim Familiengericht einen Antrag auf gemeinsame elterliche Sorge zu stellen.

Die Diskussion über die beiden Grundmodelle und mögliche Zwischenformen ist noch nicht abgeschlossen. Die intensiven Gespräche mit den Rechts- und Familienpolitikern der Regierungskoalition werden zügig fortgesetzt. Ziel ist, überall dort zur gemeinsamen Sorge der Eltern zu kommen, wo das Kindeswohl nicht entgegensteht. Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen bleibt immer das Wohl der betroffenen Kinder.

Was gilt für die Zeit bis zur gesetzlichen Neuregelung?

Schon heute haben betroffene Väter die Möglichkeit, bei Zustimmungsverweigerung der Mutter eine gerichtliche Übertragung der elterlichen Sorge zu beantragen. Das ergibt sich aus vorläufigen Anordnungen, die das Bundesverfassungsgericht für die Zeit bis zur gesetzlichen Neuregelung getroffen hat.

Bis zum Inkrafttreten der Neuregelung gilt:

Sind Eltern bei der Geburt ihres Kindes nicht miteinander verheiratet, erhält zunächst die Mutter das alleinige Sorgerecht kraft Gesetzes.
Sind sich die Eltern einig, dass sie gemeinsam die elterliche Sorge ausüben wollen, können sie übereinstimmende Sorgeerklärungen abgeben. Daran ändert auch die vorläufige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts nichts. Denn das Bundesverfassungsgericht nimmt für die Übergangszeit ausdrücklich das alte Regelungskonzept zum Ausgangspunkt, wonach die Begründung der gemeinsamen Sorge von der Abgabe gemeinsamer Sorgeerklärungen abhängig ist. Die übereinstimmenden Sorgeerklärungen müssen öffentlich beurkundet werden, durch den Notar oder das Jugendamt.

Verweigert die Mutter ihre Zustimmung zur gemeinsamen Sorge, obwohl der Vater eine gemeinsame Sorgeberechtigung wünscht, kommt also eine übereinstimmende Sorgeerklärung nicht zustande, so kann der Vater ab sofort die Entscheidung des Familiengerichts beantragen, egal, seit wann die gemeinsame Sorge verweigert wird, und egal, wie alt das Kind ist. Das ergibt sich aus der Übergangsregelung durch das Bundesverfassungsgericht. Das Familiengericht überträgt den Eltern das gemeinsame Sorgerecht (oder einen Teil davon), soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht. Dadurch sollen – so das Bundesverfassungsgericht – bei der gerichtlichen Einzelfallentscheidung die Belange des Kindes maßgeblich Berücksichtigung finden, die Zugangsvoraussetzungen zur gemeinsamen Sorge jedoch nicht zu hoch angesetzt werden.

Verweigert die alleinsorgeberechtigte Mutter (bei nicht nur vorübergehendem Getrenntleben der Eltern) die Zustimmung zur Übertragung der Alleinsorge auf den Vater, so bestand bisher ebenfalls keine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit. Auch für diesen Fall hat das Bundesverfassungsgericht nun eine Übergangsregelung vorgesehen. Danach ist bei einem solchen Verfahren auf Übertragung der Alleinsorge von der Mutter auf den Vater eines nichtehelichen Kindes zunächst zu prüfen, ob nicht eine gemeinsame Sorgetragung in Betracht kommt. Erst wenn dies nicht der Fall ist und wenn gleichzeitig zu erwarten ist, dass die Übertragung der Alleinsorge auf den Vater – ganz oder zum Teil – dem Kindeswohl am besten entspricht, ist sie vorzunehmen. Die Familiengerichte übertragen dann unabhängig von der Zustimmung der Mutter dem Vater die alleinige elterliche Sorge (oder einen Teil davon), weil eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

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